Deichkind – Neues vom Dauerzustand    

VÖ: 17.02.2023

Label: Sultan Günther

Genre: Electro(-Rock/-Punk-/Clash/-Pop)

Die im letzten Jahr bereits veröffentlichte Single In der Natur hat mich mit ihrem grandiosen Musik-Video (für mich das beste aus 2022) in vollstem Maße catchen können. Da kommen halt erneut alle Stärken der Hamburger zum Tragen, für die ich sie seit jeher schätze: diese feinsten, stets den Zahn der Zeit treffenden, nach vorne pushenden Electro-Sounds, diese überaus originellen, gesellschaftliche und popkulturelle Phänomene kommentierenden und auseinandernehmenden Texte und Wortspiele/-witze sowie die die Band immer wieder definierende visuelle Komponente. Man muss sich ja mal vergegenwärtigen, dass die Deichkinder um das verbliebende Gründungsmitglied Philipp Grütering seit der Gründung Ende der 1990er Jahre nicht nur einen absolut respektablen Genre-Wechsel von Hip-Hop zu Electro vollzogen haben, sondern seitdem auch stets bedeutsam geblieben sind, seien es auch nur diese Slogans und anders im Gedächtnis gebliebenen Textzeilen aus Songs wie Bon Voyage, Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah), Arbeit nervt, Leider geil, Richtig gutes Zeugs oder Bück dich hoch. Das neue Werk Neues vom Dauerzustand bietet neben der besagten tollen Single In der Natur weitere kraftvolle Songs, die zuvor beschriebene Stärken in puncto Musik und Texte vereinen kann. Vor allem nimmt man das eigene Schaffen schön selbst aufs Korn. Der positive Eindruck stellt sich im Besonderen in der ersten Hälfte ein, mit unter anderem Auch im Bentley wird geweint (feat. Clueso) und Lecko mio. Allerdings muss ich dem entgegensetzen, dass die Songs zum Ende hin nicht ganz so stark sind, da sie in ähnlicher Form schon bekannt sind bzw. sich (noch) nicht so ganz in meinem Ohr festgesetzt haben. Das ist allerdings auch Meckern auf hohem Niveau, denn das Album ist insgesamt schon echt überzeugend. Schon wieder muss man ja sagen!

P.S.: Im Musikexpress gab’s die Höchstwertung von sechs Sternen, nicht schlecht!  

Note: 2,3 (mit Potential nach oben)  

https://www.deichkind.de/

Deichkind – Wer sagt denn das?

VÖ: 27.09.2019

Label: Sultan Günther

Genre: Electro(-Punk)

Ich kann mich erinnern, dass mal jemand sagte, dass Deichkind vor über zehn Jahren aus der deutschen Hip-Hop-Szene von anderen etablierten Acts  vertrieben worden seien.  Ich habe da Unterschiedliches gelesen, es wird aber schon allgemein gesagt, dass die damals noch als Trio aktiven Hamburger irgendwie kaum noch Perspektiven in diesem Genre sahen. Ich finde persönlich, dass man der Band allerhöchsten Respekt zollen sollte, egal aus welchen Motiven heraus dieser Wechsel in die Bereiche des Electro(-Punk) vollzogen wurde. Denn auch wenn ich sie als Hip-Hopper geschätzt habe – mit dem Debüt Bitte ziehen sie durch (2000) und Hits wie Wer bremst das?!, Komm schon, Kabeljau Inferno und vor allem die Nina-Kollaboration Bon Voyage (dessen einzigartiges Video ich damals auf MTV und den beiden VIVA-Channels rauf und runter geschaut habe) – finde ich sie seit dem Wechsel mindestens genauso spannend. Der Wortwitz, diese höchst originellen Slogans der frühen Bandphase sind ja geblieben.  Wer erinnert sich nicht an die Textzeilen beispielsweise aus Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)? Das Album, auf dem der wohl bekannteste Song enthalten ist – das 2006er-Aufstand im Schlaraffenland markierte den radikalen Wechsel zu Electro, nachdem man auf Noch fünf Minuten Mutti (2002) und mit der Trio-Ur-Besetzung ja schon viel damit experimentiert hat. Deichkind wurde umbesetzt –  aus der Urbesetzung blieb nur noch Philipp Grütering übrig, erst 2006 Malte Pittner und 2008 dann auch Bartosch Jeznach waren weg, es kamen neue Leute wie Ferris MC dazu, nicht zu vergessen im Jahre 2009 der tragische Tod des Produzenten Sebastian Hackert (der übrigens als hauptverantwortlich für den Stilwechsel gesehen wird)  –, die Live-Shows wurden von Mal zu Mal „ausgefallener“, mit verschiedenen originellen Kostümierungen sowie vielen Farben, und die Band somit kommerziell erfolgreich, ein Massenphänomen (ich kann mich erinnern, dass ich sie mal auf dem Hurricane-Festival sehen wollte, es aber einfach zu voll war, um überhaupt irgendetwas zu sehen). Das musikalische Rezept waren „Bollerbeats“  und eben jene zuvor erwähnte sloganartigen Texte, die im Stile von Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah) auch auf den folgenden Alben Arbeit nervt (2008), Befehl von ganz unten (2012) und Niveau weshalb warum (2015) durchgezogen wurde. Aber: Langweilig wurde es zumindest für mich nicht, eben weil man den nötigen Humor beibehalten hat, sich immer wieder originelle Textpassagen einfallen ließ, man Stellung zu jeweils gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen und Phänomenen nahm. Christian Bos vom Kölner Stadt-Anzeiger hat dazu gestern in einem wirklich gut geschriebenen Artikel Stellung genommen, Deichkind bewege sich stetig auf der „Linie zwischen stumpfer Abfahrt und hoher Kunst“. Ich kann dem zustimmen, manchmal schüttele ich schon den Kopf ob so mancher Zeilen, habe aber immer wieder Spaß dabei. Mit dem jetzt erschienen siebten Album Wer sagt denn das?  (das erste ohne Ferris MC) geht mir das erneut so. Der Titelsong ist wirklich fantastisch, man nimmt pointiert und ironisch Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen und zu Aussagen wie „Dummheit ist nicht erblich“. Doch auch der Rest ist zu großen Teilen wirklich herrlich, es gibt Sounds und Beats, die nur oberflächlich stumpf wirken, oftmals aber richtig hochqualitativ sind (z.B. eine richtig originelle Anspielung auf Kraftwerk in Endlich Autonom oder das auf Marilyn Manson anspielende Bude Voll People). Dann wieder einmal die wirklich intelligenten Texte, in denen man sich treffsicher und (selbst-)ironisch mit Themen wie Binge-Watching, wie in Keine Party zur eigenen Bandhistorie („Schluss mit Remmidemmi (…) dieses Bum-Bum-Bum hält doch keiner aus (…) /Da oben steht vermeintlich die Band, die die Party rockt / Doch die hab’n das alles einfach von den Beastie Boys gezockt“ u.a.) oder  Populismus nimmt. Die Band möchte wohl wirklich nicht mehr nur als „Partyband“ angesehen werden.  Ich bleibe dabei, ich bin ein Fan der Hamburger, auch – nein, vor allem wegen – Wer sagt denn das?. Ein großer Spaß mit viel Prominenz  in verschiedenen Funktionen (Jan Böhmermann, Olli Schulz, Alexander Marcus, Das Bo, Bela B, Lars Eidinger, Till Lindemann uvm.)!

Note: 2,3 (mit Potential nach oben)  

https://www.deichkind.de/

 

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