Wenn gegenwärtig über Bands geschrieben wird – am besten noch ein Duo in der Frau/Mann-Kombination –, die Synthie-/Electro-/Dream-Pop spielen, so ist das wohl eher nichts Neues mehr. Andererseits gibt es ja doch noch einige Vertreter, die durchaus Spannendes zu bieten haben. Mit dem Wissen und dieser Erwartung bin ich auch an die Besprechung des neuen Album von NRVS LVRS (ausgesprochen: „Nervous Lovers“) gegangen. Eine wahrhaft kluge Entscheidung, soviel sei schon einmal verraten. Bevin Fernandez und Andrew Gomez schaffen es, die Klänge, die in den oben genannten Genres hauptsächlich verortet sind, sich darüber hinaus weiteren Stilarten gegenüber offen halten – angesiedelt im Indie-Pop/-Rock-Kosmos von kanadischen Formationen wie Metric oder den Stars, sogar einen leichten Dark Wave-Anstrich haben – überaus abwechslungs- und wendungsreich zu halten. Schon in dem ausführlichen und faszinierenden Interview mit den US-Amerikanern – das in dem entsprechenden Spotlight-Feature noch einmal nachgelesen werden kann – wurde klar, dass sie über ein reichhaltiges Wissen über die Pop-Historie als auch gegenwärtige musikalische Entwicklungen verfügen – unter anderem ebenso über deutsche Künstler/innen einiges wissen –, mit einer individuellen Interpretation an das Schreiben ihrer Songs gehen. Sie zum Beispiel Experimente in der Instrumentierung vornehmen und sich textlich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. In ihrer Heimat wurde bereits ihr 2015er-Debüt The Golden West begeistert aufgenommen, man konnte sich – wie bereits in dem Feature erwähnt – über San Francisco hinaus, wo die Band vor 3 Jahren gegründet wurde, einen höheren Bekanntheitsstatus erarbeiten. Auf dem Nachfolger zeigen sie, dass diese positiven Entwicklungen überaus gerechtfertigt sind. Die Hoffnungen, die ich vor der Veröffentlichung bereits hegte, sind in Erfüllung gegangen: Electric Dread ist vielseitig und -schichtig, das Duo findet eine perfekte Balance zwischen Eingängigkeit und Experiment. Das ist wirklich aller Ehren wert!
Note: 2,0
Übrigens, NRVS LVRS sind ab Donnerstag in Deutschland auf Tour. Hier noch einmal die konkreten Daten:
„NRVS LVRS aus San Francisco präsentieren eine passend zeitgenössische Interpretation des Indie Pop. Im Kern ist es derselbe Romantic-inspirierte Sound, mit dem [die Band] Stars seit 15 Jahren so erfolgreich ist, aber ergänzt um clevere Elemente des Chillwave, Elektropop und Dream-Pop.“ — PopMatters
Neues Album: Electric Dread (VÖ: 13.10.2017)
Infos zu: NRVS LVRS
Genre: Indie-/Synthie-Pop, Dark Wave
Wie zu sehen ist, besteht der Name des US-Duos aus einer Aneinanderreihung von Buchstaben, genauso wie bei SBTRKT oder MSTRKRFT zum Beispiel. Aber ähnlich wie bei den beiden erwähnten Acts ergibt dies einen Sinn, es handelt es sich natürlich um eine Abkürzung. Die hier vorgestellte Band spricht sich nämlich „Nervous Lovers“. Sie besteht aus Bevin Fernandez und Andrew Gomez, die nicht nur privat verheiratet sind, sondern auch in musikalischer Hinsicht seit 2014 eine kreative Gemeinschaft bilden. Sie stammen aus San Francisco, wo sie in der lokalen Szene schon länger bekannt sind, unter anderem durch ihr ein Jahr nach Gründung veröffentlichtes Debüt The Golden West, welches von den Medien überaus positiv aufgenommen wurde. Die blieb nicht ohne Folgen, denn man ging als Vorband auf Tour mit einigen, auch überregional bekannten Bands (u.a. Jagwar Ma und Telekinesis), engagierte sich zudem selbst in der Szene San Franciscos, knüpfte Kontakte und setzte sich für aufstrebende lokale Talente ein. 2016 begab man sich dann zusammen mit Toningenieur Larry Crane – der bereits mit einigen großen Künstler/innen zusammengearbeitet hat (u.a. Eliott Smith, Death Cab For Cutie) in dessen Jackpot! Studio in Portland, um den Nachfolger zu The Golden West – Electric Dread betitelt – zu produzieren. Die Beschreibung, dass man hier mit vielen Electronica-Elementen gespickten Indie-Pop mit Anleihen an Darkwave geboten bekommt, verrät nur ansatzweise, was NRVS LVRS da wirklich für uns zubereitet haben. Wir dürfen jedenfalls sehr gespannt sein, was uns da musikalisch erwartet!
Ich hatte die wunderbare Gelegenheit, Bevin Fernandez und Andrew Gomez zu befragen. So verraten sie unter anderem einige Details über ihre ersten Schritte als Band in San Francisco, ihr neues Album und ihre Kenntnisse über deutsche Musiker/innen. Freut euch auf ein erkenntnisreiches Interview mit den sympathischen US-Amerikanern, viel Spaß!
Interview
Eure Band wurde 2014 in San Francisco, Kalifornien gegründet. Könnt ihr uns etwas über die lokale Musik-Szene dort erzählen? Gibt es irgendwelche Zusammenarbeiten, an denen ihr beteiligt seid?
Die Musik-Szene San Franciscos ist ziemlich seltsam. Die übermäßigen Lebenshaltungskosten in San Francisco erschweren es, Musiker zu sein. Dort sind immer noch einige Bands, welche die Szene am Leben erhalten, San Franciscos Psychedelic- und Garage-Szene ist nach wie vor erfolgreich. BFF.FM ist ein irrer freier Radiosender, bei dem Underground- und aufstrebende lokale Bands in der Bay Area gefördert werden. Dort wird durch die Programmgestaltung des Internet-Radiosenders geholfen, die DIY-Szene aufrechtzuerhalten, durch die Sendungen, die veranstaltet werden. Zudem über den Support, den sie Bands geben, die sich wahrscheinlich keine große PR-Kampagne leisten können, es aber verdient haben, gehört zu werden.
Wir haben versucht, so viel wie möglich zu touren. Wir wissen, wie schwer es ein kann, gute Locations in San Francisco zu buchen. So tun wir unser Bestes, Bands zu helfen, die durch die Bay Area touren möchten, indem wir Shows mit ihnen zusammen veranstalten oder – falls wir diese selbst nicht organisieren können – versuchen, die Betreffenden mit Bands ihres Genres in Kontakt zu bringen und sie zu informieren, welche Locations am Günstigsten für tourende Acts sind.
Euer zweites Album Electric Dread wird am 13. Oktober veröffentlicht. Könnt Ihr in Euren eigenen Worten beschreiben, was musikalisch zu erwarten ist? Gibt es markante Änderungen bezüglich des Sounds im Vergleich zu Eurer vorherigen Veröffentlichung, der Debüt-LP The Golden West?
Electric Dread ist auf jeden Fall in musikalischer Hinsicht düsterer und es lehnt sich mehr an Electronica an als The Golden West. Wir fühlten uns um einiges mehr fokussiert, mit dem Gesamtsound und dem Feeling, das wir auf dieser Platte vermitteln wollten. Wir wurden immer wieder von neuen Synthie-Patches, Drum-Sounds und spezifischen Samples inspiriert, aber jeder Song auf dieser Platte beginnt mit einem dieser Sounds, die im Gegensatz dazu für Gitarre oder Bass geschrieben sind, wie es auf der letzten Platte gehandhabt wurde.
Wer sind Eure Vorbilder? Hat jemand von ihnen einen besonders großen Einfluss auf Eure Sounds, speziell jenem auf Eurer neuen Platte?
Als wir damit begannen, für dieses Projekt Songs zu schreiben, waren wir ursprünglich inspiriert von Künstlerinnen und Künstlern wie Brian Eno, Kate Bush, J Dilla, Daniel Johnston und Dan Deacon. In der Weise, wie diese immer schon Trends ignoriert und die Grenzen der Musik erforscht haben. Wir haben ein großes Verlangen nach neuer Musik und wir suchen ständig nach neuen Sounds. Aber es ist nicht so, dass wir versuchen, Songs wie unsere Lieblingskünstler/innen zu schreiben. Musik zu komponieren mögen wir am liebsten daran, in einer Band zu sein. So würde der Nervenkitzel des Schreibens eines neuen Songs nicht mehr existieren, wenn wir bloß versuchten, unseren Helden nachzueifern. Wir würden eher sagen, wir sind mehr inspiriert von den Herangehensweisen dieser Künstler/innen, was es uns dann erlaubt, unsere eigenen musikalischen Entdeckungen zu machen.
Welche Themen behandelt Ihr in euren Texten? Sind aktuelle gesellschaftspolitische Bezüge zu finden?
Alles in allem, die zwei grundlegenden Themen, die wir auf diesem Album behandeln, sind Trauer und Angst, weil wir beides in beträchtlichem Maße durchgemacht haben, als wir diese Platte geschrieben haben. Einige unserer Familienmitglieder und Freunde sind kürzlich verstorben. Andrew litt in dieser Zeit an Panikattacken, so dass es unmöglich war, dass diese Angelegenheiten nicht unsere Musik durchdringen. Dennoch, wir lieben es aus der Perspektive anderer Charaktere mit unseren eigenen Augen betrachtet zu schreiben. Dies bietet uns mehr kreative Freiheiten, diese Themen tiefer zu ergründen, als wenn unsere Songs nur ausschließlich autobiographisch wären.
Neben dem oben Genannten sind viele der Songs von gesellschaftspolitischen Themen beeinflusst. Der Song Silhouettes zum Beispiel erforscht die Schulzuweisungen, die Frauen in Bezug auf sexuellen Missbrauch in den USA erfahren. Ich dachte über das Thema nach, als der Brock Turner-Vergewaltigungsfall hier in den Vereinigten Staaten Schlagzeilen machte, weil man einen schuldigen Mann wegen einer Vergewaltigung ungeschoren davonkommen ließ. Der Richter sorgte sich mehr um dessen Zukunft, als dass er irgendeinen Vorstoß unternommen hätte, dem Opfer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Lost To The Max behandelt die Verletzlichkeit des Wesens einer Frau, sich im öffentlichen Raum nicht sicher zu fühlen. Auf unserer ersten Platte geht es um die offenkundige Gentrifizierung und das wirtschaftliche Ungleichgewicht, das durch den neuen Technologie-Aufschwung in der Bay Area verursacht wurde. So sind wir definitiv daran interessiert, durch unsere Musik ein Statement zu den aktuellen Ereignissen abzugeben.
Ab Mitte Oktober werdet Ihr auf Tour nach Europa kommen, unter anderem auch Deutschland. Gibt es hierzulande Bands (egal ob diese noch aktiv sind oder nicht), die Euch ein Begriff sind, deren Musik Ihr besonders schätzt?
Deutsche Bands wie Can, Neu!, Kraftwerk, DAF und Tangerine Dream nehmen eine wichtige Stellung in unserer Plattensammlung ein und wir würden sagen, dass sie unglaublich einflussreich und inspirierend für uns sind. Es ist unmöglich für uns, diese Platten aufzulegen und danach keine Lust zu haben, Musik zu machen.
Beim Stöbern auf Bandcamp & Soundcloud sind wir auf einige großartige deutsche Acts gestoßen, die in den USA nicht so viel Berichterstattung erhalten wie sie sollten. Aus dem Stehgreif, wir mögen Candelilla, Slow Steve, Diät, Roosevelt und Levin Goes Lightly sehr gerne. Es ist jedoch eines dieser Dinge, auf die wir uns auf unserer anstehenden Deutschland-Tour freuen, uns mit den Szenen der jeweiligen Städte vertraut zu machen und deutsche Künstler/innen zu entdecken, die wir zuvor noch nicht gehört haben.
Aus dem am 13. Oktober erscheinenden zweiten AlbumElectric Dreadgibt es vorab das Video zu ersten Single I Am Almost Perfectly Awakezu sehen:
Dazu noch 2 Videos zu Songs aus dem Debüt The Golden West:
Audio
Das neue Album Electric Dreadgibt es jetzt schon bei Soundcloud komplett zu hören:
Tour
Das Duo wird auf Tour nach Europa kommen, darunter sind einige Termine in Deutschland eingeplant (sind fett markiert). Lasst es euch keinesfalls entgehen!